Delir für Fachpersonal

Delir postoperativ auf Intensivstation

Delir: Was ist ein postoperatives Delir?

Das postoperative Delir (POD) ist eine akute Organfunktionsstörung des Gehirns dem eine medizinische Ursache zugrunde liegt. Es kann unmittelbar nach der Operation und/ oder im Verlauf bis zu fünf Tagen nach der Operation auftreten. Die Inzidenz variiert je nach betrachteter chirurgischer Kohorte zwischen 5-50%. Patient*innen jeder Altersgruppe können vom POD betroffen sein. Bei über 16 Mio. chirurgischen Eingriffen in Deutschland hat POD eine hohe Relevanz. Nach einem POD erleiden 5% bis 15% der Patient*innen eine neue oder aggravierte Beeinträchtigung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit. Ältere Patient*innen, bei denen mehr als ein Drittel aller operativen Eingriffe durchgeführt werden, sind durch prädisponierende und präzipitierende Risikofaktoren besonders vulnerabel für POD. Eine effektive Voraussetzung zur Risikoreduktion von POD, ist die Messung von POD mit validierten Screeninginstrumenten. Dazu eignet sich die Nu-DESC (Nursing Delirium Screening Scale) für das Screening auf Normalstation oder die CAM-ICU (Confusion Assessment Method for Intensive Care Unit) für Patient*innen der Intensivstation.

In jedem Fall gilt, Delir muss frühzeitig diagnostiziert und die Ursache so schnell wie möglich behandelt werden. Denn die Therapie der Ursache für das Delir ist die Therapie des Delirs! und ist entscheidend für das Outcome des Patienten/der Patientin.

Typische Symptome des postoperativen Delirs sind:

  • der akute Beginn und fluktuierende Verlauf
  • Aufmerksamkeitsstörungen
  • Bewusstseinsstörungen
  • Störungen des formalen Denkens




Weitere Symptome, die bei Delir begleitend hinzukommen können, sind:

  • Desorientierung
  • unangemessenes Verhalten
  • unangemessene Kommunikation
  • Wahrnehmungsstörungen (Illusionen/Halluzinationen)
  • psychomotorische Retardierung
  • gestörter Tag-Nacht-Rhythmus
  • Affektstörung (Angst, Wahnvorstellungen, extreme Unruhe, Agitiertheit, extreme Müdigkeit, Apathie)
Diagnostische Kriterien des Delir nach DSM-5
Modifiziert nach American Psychiatric Association. (2013). Anxiety disorders. Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). https://doi.org/10.1176/appi.books.9780890425596.dsm05.

Zur Ätiologie von POD zählen verschiedene Risikofaktoren. Man unterscheidet hierbei zwischen prädisponierenden Risikofaktoren – das sind Risikofaktoren, die durch die gesundheitliche und soziale Ausgangssituation des Patienten bedingt sind – und präzipitierenden Risikofaktoren, welche durch das perioperative und stationäre Management (Operation, diagnostische Untersuchungen, medizinische Interventionen, etc.) bedingt sind.

Prädisponierende Risikofaktoren

  • fortgeschrittenes Alter
  • Komorbitäten
  • Erkrankungen der Hirn-, Herz- und peripheren Gefäßen (inkl. Schlaganfall)
  • Diabetes mellitus
  • Anämie
  • Morbus Parkinson
  • Depression
  • chronischer Schmerz
  • Angststörungen
  • Alkoholabhängigkeit
  • kognitive Einschränkungen, Demenz
  • Gebrechlichkeit (Frailty)
  • sensorische Defizite: Schwerhörigkeit, Fehlsichtigkeit
  • Mangelernährung
  • Polypharmazie
  • soziale Isolation

Präzipitierende Risikofaktoren

  • Schmerz
  • Nüchternheit, Dehydrierung
  • Elektrolytstörungen: Hypo-, Hypernaträmie; Hypo-Hyperkaliämie
  • Medikation mit anticholinergen Nebenwirkungen
  • abdominale- bzw. herzchirurgische Eingriffe
  • Dauer der Operation
  • intraoperativer Blutverlust
  • perioperativer Blutverlust
  • perioperative Komplikationen
  • Notfalleingriffe
  • postoperative Immobilisierung
  • postoperativer Aufenthalt auf einer Intensivstation

Quellen:

Frühwald, T., Weissenberger-Leduc, M., Jagsch, C. et al. Delir. Z Gerontol Geriat, Perioperative Neurocognitive Disorders – Postoperative Prevention Strategies

Fatima Yürek, Ursula Müller-Werdan, Claudia Spies et.al. (https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-0853-3116#N69040)

Wissenschaftlicher Hintergrund und Notwendigkeit

Delir ist die häufigste postoperative Enzephalopathie im operativen Kontext und tritt bei älteren Patient*innen aufgrund von Risikofaktoren mit fortgeschrittenem Alter häufiger auf. Delir ist ein potenziell lebensbedrohliches Krankheitsbild, wenn es nicht behandelt wird. Die Delirinzidenz variiert bei älteren Patient*innen nach einer Operation zwischen 5-60 %, bei Notfalloperationen ist die Zahl der Delirien höher. Auf Intensivstationen besteht eine noch höhere Inzidenzrate des Delirs: hier liegt sie bei 70-90 %. Ungünstig für den postoperativen Verlauf ist eine Verkennung des Delirs. In 32-66 % der Fälle wurde das Delir von Ärzt*innen und in 43 % der Fälle von Pflegekräften nicht richtig erkannt (Frühwald, T., Weissenberger-Leduc, M., Jagsch, C. et al, March 2014). 

Dabei ist es wie bei allen Erkrankungen, dass eine gut durchgeführte Primärprävention, die richtige Diagnosesicherung durch regelmäßiges Screening und die frühzeitige Suche nach der Ätiologie für die Prognose entscheidend sein. Die Prävention des postoperativen Delirs ist von großer Bedeutung. Schließlich hat Delir mit 23-76% eine ähnlich hohe Mortalitätsrate wie ein akuter Myokardinfarkt oder Sepsis. Zudem haben betroffene Patient*innen eine längere Krankenhausverweildauer, ein erhöhtes Sturz-und Infektionsrisiko sund häufig leiden die Patiente*innen unter einer dauerhaften Verschlechterung ihrer kognitiven Fähigkeiten. 

In der Gesamtschau ist Delir ein für Patient*innen, Angehörige belastendes Krankheitsbild. Der erhöhte pflegerische Aufwand bei Patient*innen mit Delir kann durch limitierte Personalschlüssel und begrenzte Ressourcen nur begrenzt bedient werden. Inouye SK, Westendorp RG et al (2013) Delirium in elderly people. Lancet (Epub ahead of print). DOI 10.1016/S0140-6736(13)60688-1. Durch Präventionsmaßnahmen können bis zu 2/3 aller Delir-Fälle verhindert werden. Was Präventionsmaßnahmen des postoperativen Delirs im Konkreten sind, erfahren Sie hier (Verlinkung zum Abschnitt Präventionsmaßnahmen auf dieser Seite).

Delir: Management auf der Intensivstation

Die Versorgung von Patient*innen auf der Intensivstation erfordert eine spezielles Delirmanagement. Die nationale S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie 2021) ist eine Zusammenfassung von Expertenmeinungen und evidenzbasierter Empfehlungen für patientenorientierte Behandlungskonzepte. Hierzu gehören bedarfsorientierte Analgesie und Sedierung, individuelle Therapieziele, sowie Vermeidung von Angst und Delir. Lesen Sie alle Inhalte und Empfehlungen der S3-Leitlinie auf der AWMF Website.

Ebenso erfordert die Versorgung von Patient*innen auf der Normalstation, im OP-Saal und im Aufwachraum ein interdisziplinäres und interprofessionelles Delirmanagement. Die Europäische Leitlinie der European Society of Anaesthesiology evidence-based and consensus-based guideline on postoperative delirium (2017) bildet alle evidenz- und konsensusbasierten Empfehlungen zum postoperativen Delir ab für chirurgische Patient*innen ab. Lesen Sie alle Inhalte und Empfehlungen der ESA Leitlinie auf der ESA Website.

Kurze Übersicht des Delir-Screenings im Kontext des Delirmanagements:

  • regelmäßiges strukturiertes Screening mit validierten Screeninginstrumenten für das Delir:
    • CAM-ICU und die ICDSC für die Intensivstation
    • Nu-DESC für den Aufwachraum und die Normalstation 
  • das Delirsreening immer im Kontext mit einem zeitgleich gemessenen Richmond Agitation and Sedation Score (RASS: Einschätzung der Vigilanz) bewerten
  • das Ergebnis des Delirscreenings mindestens einmal pro Schicht (in der Regel 8-stündlich) durchführen und dokumentieren
  • Wenn das Screening positiv ausfällt und ein Delir somit vorliegt, muss die zugrundeliegende Ursache rasch identifiziert und behandelt werden: z.B. Infektionen, Hypoxie, Perfusionsstörung, Intoxikation.

Präventionsmaßnahmen – „Jeder Moment ist Prävention“ (Fatima Yürek)

Präventionsmaßnahmen des postoperativen Delirs sind effektiv und stellen ein ganzheitliches, holistisches, interprofessionelles und interdisziplinäres Konzept in Multi-Komponenten-Struktur in der stationären Krankenversorgung dar. Es gilt die Präventionsmaßnahmen vom Erstkontakt bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus bei Patient*innen mit Risikofaktoren anzuwenden, um ein Delir zu vermeiden:

Bereits vor dem operativen Eingriff beginnt die Prävention des postoperativen Delirs – achten Sie darauf, dass die Patient*innen sich ohne übermäßig lange Nüchternheit, Exsikkose, Auskühlung oder Anämie dem Eingriff unterziehen. Hilfsmittel wie Brille oder Hörgerät sollten erst kurz vor der Narkoseeinleitung entfernt werden und den Patient*innen wieder unmittelbar nach der OP zur Verfügung gestellt werden. Bei der Narkoseführung empfiehlt die Leitlinie den Zustand “burst suppression” im EEG-Monitoring zu vermeiden, also zu achten, dass Patient*innen nicht zu tief narkotisiert werden. Die ESA-Leitlinie empfiehlt die Verwendung eines Narkosetiefemonitorings mittels EEG. Besonders starke Blutdruckabfälle oder Blutdruckschwankungen, Hypothermie und Hypoxie stellen Risikofaktoren für POD dar und sollten daher ebenfalls vermieden bzw. bei Auftreten adäquat therapiert werden.

Achten Sie postoperativ auf bedarfsgerechte kognitive Stimulation Ihrer Patient*innen, wie zum Beispiel durch Lesen, Fernsehen oder Unterhaltung. Der Patient / die Patientin sollte Gesellschaft haben, zum Beispiel von ihm / ihr vertrauten Personen. Er / Sie sollte alle Hilfsmittel haben, um sensorische Defizite zu kompensieren (Hörgerät und Brille, Zahnprothese). Hilfsmittel zur Reorientierung gehören in jedes Patient*innenzimmer: eine gut sichtbare Wanduhr, Kalender oder Wandtafeln, auf denen Ort und Datum angezeigt werden, unterstützen die Reorientierung von Patient*innen. Der Tag-Nacht-Rhythmus sollte wieder stabilisiert werden, durch Licht und Aktivitäten tagsüber sowie Lärm- und Lichtreduktion  zur Nacht. Es sollte auf eine ausgewogene, ausreichende Ernährung und Flüssigkeitszufuhr geachtet werden und die Patient*innen sollten frühzeitig zur Bewegung animiert werden und Physiotherapie erhalten. Zugänge in den Venen, Blasenkatheter und andere Fremdmaterialien sollten auf Indikation täglich geprüft und nach Möglichkeit so früh wie möglich entfernt werden.

Delir Prävention: Narkosetiefemessung
Narkosetiefemonitoring mit EEG Messung, Abbildung zeigt EEG-Muster, Patient-State-Index (PSi)-Wert, Artefakte (ARTF in %), Elektromyogramm (EMG)-Werte, Suppression Ratio (SR)-Wert, Werte für spektrale Eckfrequenz jeweils Rechts (SEFR) und Links (SEFL) , Gerät: MASIMO comp, California/ USA

Diagnostik

Screening mit validierten Scores ist wichtig, da sonst bis zu 72% der Delir-Fälle nicht erkannt werden (Detection of delirium in the acute hospital, Collins et al. 2010). Besonders das hypoaktive Delir und die Mischform aus hyper- und hypoaktivem Delir stellen eine diagnostische Herausforderung für das medizinische Personal dar, weil die Symptome bei den Patient:innen ohne ein gezieltes Screening unentdeckt bleiben. So werden bis zu 2/3 der hypoaktiven Delir-Fälle nicht erkannt (If delirium is not monitored it will often be not detected, Lütz et al. 2010)

Auf der Normalstation dient die Nursing Delirium Screening Scale (Nu-DESC) als primäres Tool zur Erkennung eines Delirs. Im pflegerischen Gespräch mit Patient:innen wird ermittelt, ob Auffälligkeiten bezüglich folgender Domänen bestehen und diese mit einem Punktesystem (0= Symptom nicht ausgeprägt, 1= Symptom mild ausgeprägt, 2= Symptom stark ausgeprägt) durch den/die Untersucher*in bewertet:

  • Orientierung
  • unangemessenes Verhalten
  • Unangemessene Kommunikation
  • Illusionen/ Halluzinationen
  • psychomotorische Verlangsamung
Image
Nursing Delirium Screening Scale: Nu-DESC. Validiertes Delir-Screeninginstrument für Normalstation und Aufwachraum, sowie weitere Bereiche (Rettungsstelle, Ambulanzen, etc.) außerhalb von Intensivstationen

Das Delirscreening ist der wichtigste Schritt, um ein Delir zu diagnostizieren. Ein Delirscreening kann von Pflegekräften, Arzt*innen und geschultem Personal durchgeführt werden. Pflegekräfte sind durch den häufigen Kontakt zu Patient*innen sehr gut in der Einschätzung von Patient*innen mit Delir, wenn sie mit der Nu-DESC das Delirscreening durchführen. (Fast, systematic, and continuous delirium assessment in hospitalized patients: the nursing delirium screening scale, Gaudreau et al. 2005). Die Diagnosesicherung erfolgt anhand der DSM-5 Kriterien durch den Arzt/ die Ärztin (REFERENZ: American Psychiatric Association. (2013). Anxiety disorders. In Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). https://doi.org/10.1176/appi.books.9780890425596.dsm05). Mit der CAM-ICU werden die vorliegenden Symptome gemäß den die DSM-5 Kriterien geprüft und bei positivem Delir-Screening mir der CAM-ICU mit hoher Sensitivität und Spezifität ein Delir diagnostiziert (Ely EW, Inouye SK, Bernard GR et al.. Delirium in mechanically ventilated patients: validity and reliability of the confusion assessment method for the intensive care unit (CAM-ICU).  JAMA. 2001;  286 2703-2710)

Bei Diagnosesicherung eines Delirs, egal in welche Form (hyper-, hypoaktiv oder Mischform), handelt es sich um einen medizinischen Notfall! Es müssen daher umgehend diagnostische und therapeutische Maßnahmen erfolgen, die die Ursache des Delirs identifizieren, um die Therapie der Ursache umgehend einzuleiten. Die in der Vergangenheit verbreitete Überzeugung, ein Delir stelle insbesondere bei betagten Patient*innen eine häufige, jedoch harmlose Nebenwirkung einer Narkose dar, ist obsolet und spiegelt nicht die evidenzbasierten wissenschaftlichen Erkenntnisse wider. Man weiß heutzutage, dass ein Delir häufig der erste Vorbote vieler schwerwiegender Komplikationen wie Sepsis, akute Herzinsuffizienz, akutes Lungenversagen und weiteren Pathologien sein kann. So präsentiert sich beispielsweise bei kardiochirurgischen Patient:innen, welche postoperativ eine Sepsis entwickeln, in über 30% der Fälle das Delir als erstes Symptom – und das mehr als 48 Stunden vor Beginn anderer Symptome (Delirium as a predictor of sepsis in post-coronary artery bypass grafting patients: a retrospective cohort study, Martin et al. 2010).

Delir-Therapie

Die Therapie des Delirs ist durch nichtpharmakologische Maßnahmen geprägt und bleibt eine multiprofessionelle und interdisziplinäre Herausforderung. Ziele in der Therapie des Delirs sind:

die frühe und sichere Diagnosestellung eines Delirs

die schnelle Identifikation der Ursache des Delirs

die sofortige Therapie der Ursache.

 Merke: die Therapie des Delirs ist die Therapie der Ursache des Delirs.

Alle drei genannten Ziele bestimmen den Therapieerfolg. Wird eines der Ziele nicht umgesetzt, kann dies zu Fehlentscheidungen in der Therapie führen und Patienten gefährden.

Deswegen ist die Ursachenforschung für die Therapie des Delirs essentiell und ist ausnahmslos obligat, denn sie bestimmt den Therapieerfolg wesentlich. Ohne die Therapie der auslösenden Ursache werden Therapieerfolge nicht ausreichend erzielt. Die Behandlung der Ursache(n) ist die Behandlung des Delirs! Die Ursachen für Delir sind sehr vielfältig. Um bei der Ursachenforschung möglichst alle Differentialdiagnosen, die für Delirien ursächlich sind, zu berücksichtigen, stehen diverse Mnenomics zur Verfügung.

“I WATCH DEATH” und „ICU-DELIRIUM(S)“ sind Mnenomics aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, die die häufigsten ätiologischen Differentialdiagnosen des Delirs zusammenfassen (Wise MG. Delirium. In: Hales RE, Yudofsky SC. American Psychiatric Press Textbook of Neuropsychiatry (89–103). Washington: American Psychiatric Press Inc; 1986. Daneben gibt es noch weitere Merklisten wie THINK (Marta Render, MD – Veteran Affairs In-patient Evaluation Center (IPEC)), Dr. DRE (Disease remediation, Drug Removal, Environmental modifications), DELIRIUM(S), DELIRIOUS (Saint Louis University Geriatrics Evaluation Mnemonics Screening Tools (SLU GEMS)). Zur Differenzierung von Delir und Demenz kann COCOA PHSS als Merkliste hilfreich sein (Saint Louis University Geriatrics Evaluation Mnemonics Screening Tools (SLU GEMS)).

I WATCH DEATH – Akronym

Implementierung des Delirscreenings mindestens 1x/Schicht bzw. 3x/die. Haben Sie beim Delirscreening ein Delir bei Ihrem Patienten festgestellt, müssen unbedingt weitere Arbeitsschritte und Maßnahmen folgen:

  1. Delir ist ein medizinischer Notfall! Informieren Sie umgehend den behandelnden Stationsarzt/ die behandelnde Stationsärztin. Diese Müssen ätiologische Differentialdiagnosen des Delirs sofort prüfen
  2. Diagnostik: Messen Sie die Vitalparameter: Puls, Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Temperatur, Blutzucker, Atemfrequenz, Blutgasanalyse.
  3. Schmerzen: Evaluieren Sie Schmerzen bei PAtienten mit Delir durch einen Fremdbeurteilungsscore (BPS oder BPS.NI, bzw. BESD bei Patient*innen mit Demenz) und behandeln Sie diese falls notwenidig. Reevaluieren Sie den Behandlungserfolg Ihrer Schmerztherapie.
  4. (Fremd-) Anamnese, körperliche und orientierende neurologische Untersuchungen des Patienten: Inspektion, Auskultation, Palpation. Ist ein neurologisches/motorisches/sensorisches Defizit vorhanden? Welche pathologischen Befunde sind Ihnen aufgefallen? Benötigt der Patient weiterführende diagnostische Maßnahmen: 12-Kanal-EKG, Laborparameter, bildgebende Verfahren (cCT/CT, Rö, Sono, MRT)?
  5. Sichtung von LAbor und Medikamente: Gibt es Hinweise für laborchemische oder medikamentöse Ursachen des Delirs? Achten Sie auch auf anticholinerg wirksame Medikamente in der Medikation und prüfen Sie, ob es alternative Medikamente gibt.
  6. Fremdmaterial/Hautstatus: Achten Sie bei der körperlichen Untersuchung auf noch liegendes Fremdmaterial, dessen Liegedauer und prüfen Sie kritisch dessen Indikation. Beurteilen Sie qualitativ und quantitativ die geförderten Drainageinhalte. Wie sehem ggf. Wundem/ Hautstatus/ Dekubitus des Patienten aus?
  7. Gehen Sie jede ätiologische Differentialdiagnose im Mnenomics „I WATCH DEATH“ oder „ICU-DELIRIUM(S)“ durch. Unter der Gesamtschau von Vitalparameter, Anamnese, körperlicher und neurologischer Untersuchung, LAborwerte und Medikamente: Was ist/sind Ihre Verdachtsdiagnose(n)? Ggf. können weitere diagnostische Maßnahmen und bildgebende Verfahren zur Erhärtung Ihrer Diagnose notwenig sein.
  8. Diagnose(n)/ Ursache(n) benennen und Therapie der Ursache einleiten.
  9. Präventionsmaßnahmen fortsetzen: Prüfen Sie die Umsetzung der nichtpharmakologischen Präventionsmaßnahmen (anhand einer Checkliste) auf ihre Vollständigkeit und setzen Sie die Präventionsmaßnahmen weiterhin konsequent um („bundle approach“). Die Integration vonAngehörigen gehört als wichtige nichtpharmakologische Prävention dazu.
  10. (Re-) Evaluation: Führen Sie das Delirscreening beim Patienten engmaschig durch. Delir ist fluktuierend. Zudem können hyperaktive und hypoaktive Phasen sowie vegetative Symptomkontrolle erforderlich sein.
  11. Medikamentöse Therapie: Bei Selbst- oder Fremdgefährdung kann eine medikamentöse Symptomkontrolle erforderlich sein.

Beachten Sie auch, dass das Absetzten/Alternativen zu anticholinergen Medikamenten (wenn medizinisch in Güterabwägung möglich) erforderlich sein kann. Anhand von Skalen (wie der Carnahan Scale[1]) lassen sie die Level von anticholinerg wirksamen Medikamenten feststellen. Ein Cut-off Wert existiert bisher nicht. Es ist eine individuelle Güterabwägung und Einzelfallentscheidung, die es interdisziplinär mit Pharmakologen zu diskutieren gilt.

Behalten Sie den Überblick in der Therapie: Nutzen Sie Checklisten zur Überprüfung nichtpharmakologischer Präventionsmaßnahmen auf Vollständigkeit in der Umsetzung. Deshalb nutzen Sie Merklisten zur schnellen Identifizierung ätiologischer Differentialdiagnosen des Delirs: zum Beispiel „I WATCH DEATH“ oder „ICU-DELIRIUM(S)“.

Auch den Angehörigen kommt in dieser Situation eine besondere Bedeutung zu – sie bilden oftmals einen starken neurologischen Stimulus für die Patient*innen und können erheblich dazu beitragen, dass diese sich weniger ängstlich fühlen. Wenn Verwandte und Freunde nicht persönlich erscheinen können, nutzen Sie andere Medien (Telefon, Smartphone, Tablet) um den Kontakt zwischen Patien*innen und Angehörigen herzustellen.

Medikamentöse Therapie Delir

Häufig wird im Falle eines Delirs, speziell der hyperaktiven Form, der Ruf nach medikamentöser Therapie laut. Auch hier gilt, dass die Behandlung der Ursache von Delir zielführend ist und im Vordergrund steht. Eine reflektierte und zeitlich limitierte medikamentöse Therapie von Agitation oder Halluzinationen durch zentralnervös wirksame Medikamente ist Patienten mit Selbst-oder Fremdgefährdung vorbehalten. Darüber hinaus sind viele der infrage kommenden Substanzen aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils entweder selbst prodelirogen oder können nur unter intensivmedizinischer Überwachung verabreicht werden  Aktuelle Empfehlungen zu medikamentöser Therapie entnehmen Sie bitte der nationalen S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie 2020)